Reaktionen auf das Urteil

„Bedauerlich und fachlich in keinster Weise gerechtfertigt“

Stimmen zum UPZ-Urteil

Zum UPZ-Urteil erreichten uns zahlreiche Reaktionen per E-Mail und über Facebook. Dabei wurde deutlich, dass das Urteil nicht nur juristische Wirkung entfaltet, sondern auch Fragen nach der gesellschaftlichen und politischen Anerkennung der Arbeitsleistung von Musiklehrerinnen und lehrern. Auszüge aus diesen Zuschriften sind im Folgenden in anonymisierter Form zusammengestellt.

„Ohne weiteres Zutun…“?

Besonderen Anstoß erregte die Auffassung des Gerichts, dass in einer „praktischen Schulstunde […] die Lehrkraft einen Anstoß gibt, die Schüler dann allerdings für einen längeren Zeitraum ohne sein weiteres Zutun mit Singen, Musizieren, sich Bewegen oder Zuhören beschäftigt sind.“ (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München M 5 K 15.4747 u.a. vom 8.8.2017, S. 11) – Diese Einschätzung zeugt vom Fehlen elementarer Vorstellungen über Inhalte und Organisationsformen von Musikunterricht. Dazu schreibt ein junger Kollege: „Mit großem Entsetzen und Betroffenheit habe ich die Urteilsbegründung des VG Münchens gelesen. In meinem Umfeld (vor allem auf Facebook macht dieses Thema die Runde) sind es vor allem junge Musiklehrer, die nicht fassen können, welches Bild des Schulunterrichts (nicht nur des Musikunterrichts!!) der Verfasser dieses Urteils haben muss und welche Geringschätzung unserer praktischen Arbeit mit jungen Menschen entgegengebracht wird. In den sozialen Medien gab es schon verschiedene Ideen, vom offenen Brief bis hin zu Videodokumentationen von Stunden mit ‚Anstoß‘ und darauf folgender ‚selbständiger Beschäftigung der Schüler‘ und deren Veröffentlichung. “

Musikunterricht als Vorreiter bei der Verzahnung von Theorie und Praxis

„Interessant an dem Urteil finde ich, dass es zu einem nicht unwichtigen Teil auf Formulierungen des Lehrplans beruht. Der bisherige Lehrplan Musik erfüllte mit seiner Betonung des Kompetenzerwerbs durch praktisches Tun bereits zahlreiche Zielsetzungen, die der neue LehrplanPLUS in den Mittelpunkt stellt. Die Lehrpläne anderer „wissenschaftlicher“ (!) Fächer ziehen jetzt nach, wenn z.B. Versuche als wesentlicher Bestandteil des Unterrichts in MINT-Fächern gesehen werden. Allgemeiner gefasst hebt eine Hauptkritik am Schulwesen auf den fehlenden Praxisbezug in den meisten Schulfächern ab. Dass also genau die durch den Lehrplan versuchte enge Verzahnung von musikalischer Theorie und Praxis Grundlage für die abschlägige Entscheidung des Gerichts bildet, erscheint in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert.“

Herausforderung Heterogenität

„Bedauerlich und fachlich in keinster Weise gerechtfertigt erscheint die Gleichsetzung zwischen praktischen Übungen im Musik-, Sport- und Kunstunterricht. Im Musikunterricht muss beim Singen wünschenswerterweise, bei praktischen Übungen mit Instrumenten zwingend jeder einzelne Schüler betreut werden, um das Gesamtergebnis zu verbessern. Gleichzeitig ist es im Unterschied zu Sport bzw. Kunst in ganz anderer Weise notwendig, die Schwierigkeiten der Ausführung den Fähigkeiten des einzelnen Schülers anzupassen.“ –Im Unterschied zu den meisten anderen Schulfächern wird Musik in erheblichem Umfang auch außerhalb von Schulen gelernt und gelehrt. Entsprechend heterogen sind die fachlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Dies gilt für nicht-musische Gymnasien wohl in besonderer Weise: Hier ist die Bandbreite der Qualifikationen, mit denen Kinder und Jugendliche in den Unterricht kommen, im Vergleich zu musischen Gymnasien noch einmal deutlich größer. Entsprechend anspruchsvoll sind die Anforderungen an Lehrkräfte, adaptiv zu unterrichten: „Die Vorbereitung einer praktischen Unterrichtseinheit erfordert oft ein hohes Maß an Zeit. Lehrkräfte müssen in solchen Unterrichtsstunden auf viele Dinge gleichzeitig achten, was eine sehr präzise Planung im Vorfeld notwendig macht. Nicht alle Schülerinnen und Schüler sind auf die gleiche Art und Weise einzubeziehen, da sie sehr unterschiedliche Fähigkeiten im Praktischen haben, so dass binnendifferenzierend gehandelt werden muss. Für jedes Leistungsniveau muss ein entsprechendes Konzept mit passendem Material vorhanden sein – das wiederum für jede Klasse individuell vorzubereiten ist. Außerdem erfordert die von Schülerinnen und Schülern ebenso wie vom Lehrplan eingeforderte Aktualität der Themen und Musikstücke einen hohen und immer wieder von Neuem zu leistenden Vorbereitungsaufwand.“

Hoher Aufwand durch einstündigen Unterricht

Der hohe Anteil einstündigen Unterrichts in Mittelstufenklassen führt dazu, dass Kolleginnen und Kollegen mit dem Doppelfach Musik oft mehr als ein Dutzend Klassen zu unterrichten haben – mit entsprechend hohem Verwaltungs- und Korrekturaufwand. Dazu merkt ein Kollege an: „Im Urteil wurde überhaupt nicht berücksichtigt, dass wir durch die einstündigen Fächer sogar einen viel höheren Korrekturaufwand haben als Kolleginnen und Kollegen in anderen ‚Nebenfächern‘. Ich habe pro Schuljahr alleine von über 400 Schülern gesicherte Noten zu erstellen! Uns wurde ja wieder die geringere Korrekturbelastung vorgehalten. Schrecklich!“

Musik im Profil der Schule

Jenseits des Klassenunterrichts tragen Musiklehrkräfte oft erhebliche zusätzliche Lasten, wenn es um die Ausgestaltung des musikalischen Profils einer Schule geht, das oft erheblichen Einfluss auf deren Außenwirkung hat: „Wahlunterricht findet immer nachmittags oder spätnachmittags oder sogar abends statt. Die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Konzerten, Musical-Abenden, Schulfesten, Auftritten bei Tagen der offenen Tür u.a., Gottesdiensten u. ä. ist mit viel Zusatz-Aufwand von Zeit und Energie verbunden: u.a. Literaturauswahl, Zusatzproben, Auf- und Abbau, GEMA, Plakate, Programme, Absprachen bzgl. Terminen und Tätigkeiten etc. Chor- und Bläserklassen erfordern ebenfalls hohen Aufwand: Organisation, Testungsphasen, Instrumentenbeschaffung, Pflege, Kontrolle der Überweisungen, Elternabende (mit Instrumentenbauern), Beratung, zusätzlich die Auftritte, evtl. Kooperationen mit Musikvereinen und Musikschulen.“ – Diese und weitere Stellungnahmen legen nahe, dass solche Anstrengungen von Schülern, Eltern, Lehrerkollegien, Schulleitungen und Schulbehörden vielerorts kaum gewürdigt oder gar nicht erst als etwas Besonderes wahrgenommen werden.

Fachbezogene Differenzierung der UPZ nur in Bayern

Ergänzend sei noch angemerkt: Bayern ist das einzige Bundesland, in dem das Pflichtstundenmaß von Lehrkräften vom unterrichteten Fach abhängig gemacht wird. In anderen Bundesländern existieren zwar auch unterschiedliche UPZ-Maße, diese hängen jedoch vor allem davon ab, in welcher Schulart und in welchen Jahrgangsstufen eine Lehrkraft eingesetzt ist (siehe https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Pflichtstunden_der_Lehrer_2016.pdf). Lässt sich dies mit dem Gebot der Gleichbehandlung vereinbaren?

Gabriele Puffer